Marlen Haushofer

2011 – Monolog als Form des starken Ausdrucks

Inszenierungsfoto Die Wand: © Theater im Palais
Privatfoto Cornelia Schmaus: © Tom Kamlah

Informationen

Durchführungsort:
Theater im Palais
Theaterverein am Festungsgraben e.V.
Am Festungsgraben 1
10117 Berlin

Aufführungsdaten:
28.09./20.10./24.11.2011

Bericht

Etwas mehr als vierzig Personen haben sich im kleinen, gemütlichen Theater im Palais am Festungsgraben in Berlin eingefunden, um die Aufführung des Monologs „Die Wand“ von und mit Cornelia Schmaus zu besuchen. Die Erwartungen des Publikums sind hoch, denn die Romanvorlage von Marlen Haushofer liefert im Original von 1963 auf 265 Seiten eine ausgewiesene Dichte an Gefühlen und einen breiten Spielraum für Interpretationen, welche die rein oberflächlich betrachtet minimalistisch erscheinende Handlung umso komplexer werden lässt.

Ein Tisch, ein Stuhl, ein Schemel bilden das Bühnenbild, im Hintergrund und zu den Seiten hin eingegrenzt mit weissen Stoffen. Dieses zurückhaltend wirkende Szenario ist in fahles, kaltblaues Licht getaucht. Dann wird es dunkel im Raum, und als sich das Licht wieder einschaltet, steht Cornelia Schmaus auf der Bühne. Ihre unauffällige Erscheinung deckt sich mit dem Szenenbild: Schwarze Hose, schwarzer Pulli und darüber eine graue Wolljacke. Das Gesicht kaum geschminkt und die Haare streng nach hinten gekämmt, zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Nichts soll vom Inhalt des Monologs ablenken, wie es scheint. Schmaus hält in der Hand ein kleines, abgegriffenes Buch (ein Tagebuch vielleicht?) und blättert darin. Sie lehnt sich an den Tisch, im Raum herrscht bis auf das Rascheln der Seiten absolute Stille.

„Heute, am fünften November, beginne ich mit meinem Bericht. Ich werde alles so genau aufschreiben, wie es mir möglich ist“, beginnt Cornelia Schmaus ihren Monolog mit den einleitenden Zeilen aus „Die Wand“. Was anschliessend während den nächsten anderthalb Stunden folgt, ist ein Solo intensivster Schauspielkunst. Sitzend am Boden, auf dem Stuhl, dem Schemel, stehend, schreitend, stampfend, auf dem Tisch liegend, erzählt die Protagonistin ihre ungewöhnliche Geschichte: Von der ursprünglichen Absicht, zusammen mit ihrer Kusine und deren Mann ein paar Tage in einem Jagdhaus in den Bergen zu verbringen. Von jenem Abend, als das Paar sich auf den Weg ins Dorf machte, von dem es nie wieder zurückkehren sollte. Von dem ersten Morgen alleine in der Jagdhütte und von jenen Momenten, als sie auf ihrem Gang ins Dorf, um nach ihrer vermissten Kusine zu schauen, auf jene unsichtbare Wand stösst, hinter der Totenstarre zu herrschen scheint. Von jenen darauffolgenden Monaten, in denen sie versucht, in dem engumgrenzten Stück Natur zusammen mit ein paar Tieren zu überleben. Ohne wirklich zu verstehen, den Kopf voller unbeantworteter Fragen.

Mit viel Einfühlungsvermögen haben Cornelia Schmaus und Annett Hardegen den Roman „Die Wand“ auf 90 Minuten reduziert, ohne je den Blick auf das Wesentliche zu verlieren. Dank der äusserst tiefgreifenden Inszenierung und Cornelia Schmaus‘ beeindruckendem Vermögen, die Fülle an Gefühlen bestechend wiederzugeben, hat die namenlose Frau aus dem Roman endlich ein Gesicht bekommen. Sie erzählt, lacht, weint, schöpft Hoffnung, schreit laut vor Verzweiflung, zeigt Härte, fleht und philosophiert. Cornelia Schmaus entlockt dem Roman sämtliche Facetten und bannt sie sich ins Gesicht. „Es ist gegen fünf Uhr abends und schon so hell, dass ich ohne Lampe schreiben kann. Die Krähen haben sich erhoben und kreisen schreiend über dem Wald“. Mit diesen letzten Worten aus Marlen Haushofers Roman erstirbt das Licht auf der Bühne und die Künstlerin verschwindet in der Dunkelheit.

Was für ein ergreifender Theaterabend! Die bewegende Literatur Marlen Haushofers trifft auf die ausdrucksstarke Schauspielkunst Cornelia Schmaus‘ und verschmelzt zu einer neuen, tief unter die Haut gehenden Ausdrucksform. Die deutsche Darstellerin selbst beschreibt ihre Adaption von „Die Wand“ nüchtern als „sehr einfach, fast streng, unsentimental“. Sie verleiht der ungewöhnlichen Geschichte mit ihrer scharfsinnigen Interpretation eine persönliche Note, ohne aber die Intension der Romanvorlage zu verändern und fordert sich und ihr Publikum gleichermassen bis zum Äussersten. So würde Cornelia Schmaus, wie sie sagt, diese Aufführung nach Möglichkeit nie während den Sommermonaten durchführen. „Weil dann die den Rahmen bildende Melancholie der dunklen Jahreszeit fehlt, und weil die Leute in diesen dunklen Monaten konzentrierter sind.“ Auch hier beweist die gebürtige Frankfurterin Feingefühl. Während rund zwei Monaten hat sie sich täglich bis zu drei Stunden mit dem wortgewaltigen Text auseinandergesetzt, wie sie nach der Aufführung erzählt. Selbst wenn die Vorbereitungszeit sehr arbeitsintensiv war, die Schauspielerin hat sie doch auch genossen. So konnte sie den für sie bedeutenden Roman von Marlen Haushofer, (welchen sie im Jahre 2003 per Zufall in einer Buchhandlung entdeckt und gleich in einem Stück gelesen hat), nach ihren Vorstellungen umsetzen, ohne den möglicherweise konträren Ansichten eines Regisseurs folgen zu müssen. Entstanden ist so eine sehr persönliche Fassung, die gleichermassen nachhaltig in Erinnerung bleibt, wie die Romanvorlage von Marlen Haushofers selbst.

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