Marlen Haushofer

Die produktiven Jahre (1955 – 1959)

Gefangen von gesellschaftlichen Regeln

Marlen Haushofer fühlte sich in ihrer familiären Situation gefangen, was sicherlich auch etwas mit dem Modell der bürgerlichen Familie aus den fünfziger Jahren zu tun hatte. Es galt ganz selbstverständlich der Besitzstand des Mannes. Marlens Unmut diesen gesellschaftlichen Regeln gegenüber äusserte sich deutlich in ihren Geschichten. In Wir töten Stella legt der Ehemann und notorische Ehebrecher Wert darauf, den Urlaub mit seiner Frau zu verbringen und nach aussen alles zu vermeiden, was nach „schlampigen“ Zuständen aussehen könnte. „Als innerlicher Anarchist, schätzt er nach aussen hin die Ordnung und Genauigkeit. Keiner hütet die Moral strenger als der heimliche Gesetzesbrecher.“ Die Erzählerin ist davon überzeugt, dass sie von ihrem Mann nicht als Person, sondern als sein Besitz geliebt wird: „Eine beliebige Person an meiner Stelle hätte er ebenso geliebt, und auf diese Weise liebt er seine Kinder, sein Haus, kurz alles, was zu seiner Person gehört. (…) Keine seiner Geliebten wird ihn je dazu bringen, seine Familie, das heisst seinen Besitz, aufzugeben, und wenn es mir eines Tages einfallen sollte, ihn zu verlassen, wird er hartnäckig und rachsüchtig mein Leben zerstören.“ (1)

Trotz dem nach aussen hin zur Schau getragenen Gleichmut, war Marlen innerlich durch den Ex-Mann Manfred und durch ihre Freundin Inge zutiefst verletzt. Dies widerspiegelte sich nicht nur in ihrer Depression, sondern auch in ihren Romanfiguren. In der egoistischen Mutter Stellas in der Novelle Wir töten Stella wie auch in der mannstollen Cousine der Erzählerin in Die Wand, beide Frauen mit Namen Luise, scheint Marlen Haushofer ihre Wut gegen ihre Freundin Inge literarisch verarbeitet zu haben. (2) Dennoch wusste Marlen genau, dass sie selber in ihrer Rolle nicht nur Opfer war. Unfähig, eine endgültige Entscheidung zu treffen und aus ihrer Situation auszubrechen, verharrte sie in ihrem „goldenen Käfig“, obschon die Türe weit offen stand. (3) Erika Danneberg, die psychoanalytisch geschulte Freundin Marlen Haushofers, meinte dazu: Marlen Haushofer habe eben nie wirklich weggehen können. Aus diesem tiefen Verhaftetsein (…) rühre dieser tiefe, kindliche Hass der Abhängigkeit, der die Männer nur mehr als die Verbrecher sehen kann. (4)

Marlen trauerte ihrem früheren Ich nach, das sie verraten hatte und dem sie untreu geworden war. Sie hatte ihre Selbständigkeit aufgegeben, um die Rolle einer fürsorglichen Mutter und Ehefrau zu übernehmen, aus der sie sich nicht mehr zu lösen vermochte. Auszug aus Marlen Haushofers Erzählung Der Sonntagsspazierung:  „(…) mit einem kleinen, schwachen Schreck, merkt sie, wie sehr sie sich verändert hat. Ich könnte genausogut meine Mutter oder meine Grossmutter sein, denkt sie, aber auch diese waren nicht mehr sie selbst. Sie nicht und die lange Reiher von Müttern nicht, die vor ihnen gelebt haben. Ich möchte wissen, wo ich hingekommen bin!“. (5)

Viele Freunde und Bekannte Marlens zeigten sich sehr erstaunt, wenn man die anscheinend sanfte, liebenswürdige und bürgerliche Frau als Feministin und Männerfeindin bezeichnete. Die Tarnung war eines von Marlens Talenten, sie behielt ihre wahren Ansichten für sich und lebte in so vielen Dingen nicht nach ihrer eigenen Überzeugung. Nur wenigen Mitmenschen offenbarte Marlen ihr wahres Wesen. Einer davon war der Schriftsteller Oskar Jan Tauschinski, der später auch ihr Nachlassverwalter werden sollte. In einem Brief bestätigte er: „Marlen liebte und bewunderte Simone de Beauvoir, las mit höchster Anerkennung Rosa Mayreder und fühlte sich den Vorkämpferinnen der Frauenbewegung schwesterlich verbunden, war aber selbst keine Kämpfernatur.“

Vielleicht war für Marlen das Schreiben auch ein Ventil gegen ihre Depressionen. Ihr innerlicher Hass gegen sich selbst richtete sich dann mit scharfer Klinge gegen die Männer, was in ihren Geschichten unschwer zu erkennen ist.

Veröffentlichung des ersten Romans

Mitte der fünfziger Jahre schaffte Marlen Haushofer es endlich, sich im österreichischen Literaturbetrieb zu festigen. Der Wiener Paul Zsolnay Verlag, der traditionsreichste und damals grösste belletristische Verlag Österreichs, nahm das Manuskript zu Eine Handvoll Leben an. Im September 1955 erschien Marlens erster Roman und fand ein beachtliches publizistisches Echo. Schweizer und Deutsche Zeitungen brachten Besprechungen des Romans; in- und ausländische Rundfunkstationen befassten sich mit dem Buch. Bei den Kritikern fand das Buch im allgemeinen Zustimmung.

Im Alltag kämpfte Marlen stets um ein paar Schreibstunden. Sie nutzte dazu die Stunden am frühen Morgen, noch vor dem Frühstück. Ihre Texte schrieb sie von Hand; überall lagen Schreibblöcke herum, auf denen sie während der Hausarbeit Einfälle notierte. Vormittags Hausarbeit, nachmittags Lernen mit den Kindern, Wochenende Büroarbeit. Unterbrochen von zahlreichen Reisen, die der unternehmungslustige Manfred Haushofer mit seiner Familie unternahm. Im Gegensatz zu Marlen liebte er Fahrten ins Blaue. Um sich diesen gefürchteten Streifzügen zu verweigern, benutzte Marlen gerne den kleinen Tigerkater Iwan, Marlens „drittes Kind“, als Vorwand und blieb zu Hause. Eine weitere Erschwernis und finanzielle Belastung waren die ständigen Umzüge der Familie: 1955 zogen die Haushofers erneut um in eine Wohnung (Pfarrgasse 8), nur ein paar Strassen vom alten Ort entfernt. Die Zimmer waren klein und ohne Komfort; das Haus gehörte einem Fleischhauer, der regelmässig im Hof Schlachtungen durchführte. Christian, der ältere Sohn, fand eine Lehrstelle als Textilkaufmann, sodass er sich langsam von der Familie lösen konnte. Manfred, der Jüngere der beiden Söhne wurde auf eine Privatschule in Bad Aussee geschickt, weil auch er in der Schule Lernschwierigkeiten zeigte.

Da die Kinder nun zeitweise aus dem Haus waren, hatte Marlen etwas mehr Zeit für sich. Oft besuchte sie ihre Eltern, die seit Pensionierung des Vaters auch in Steyr lebten oder traf sich mit Freundinnen in der Konditorei des Café Stark in Steyr. Zu ihren Freundinnen gehörten auch zwei Schriftstellerinnen: Dora Dunkl und Veronika Handlgruber. Erstere veranstaltete in regelmässigen Abständen Lesungen im Steyrer Hotel Minichmayr und in der Kapelle auf Schloss Lamberg. Dunkl trug dabei nicht nur eigene Gedichte vor, sondern immer wieder auch Texte ihrer Freundin Marlen, die in Steyr prinzipiell nicht selbst las. (6)

Ganz im Gegensatz zu dem, was man von dem Berufsstand eines Zahnarztes erwartet, war Manfred Haushofer meist in finanziellen Nöten. In ihren Briefen schreibt Marlen Haushofer oft von „Sparenmüssen und Sicheinschränken“. So konnten die Haushofers beispielsweise nicht an der Wiedereröffnung des Wiener Burgtheaters teilnehmen, weil sie nicht über die geeignete Garderobe verfügten. In Die Mansarde fragt sich die Erzählerin: „Wir haben keine kostspieligen Gewohnheiten, wo also bleibt das Geld?“ (7) Manfred konnte nicht mit Geld umgehen, zudem dürften die häufigen Übersiedlungen sowie die Tatsache, dass Manfred Haushofer immer das neuste Automodell besitzen musste, mit zu der finanziellen Schieflage beigetragen haben.

Preis des Theodor-Körner-Stiftungsfonds

Mit „Wir morden Stella“ nahm Marlen Haushofer 1955 an einem Novellen-Preisausschreiben des Bertelsmann Verlags teil. Weil der Text bei Bertelsmann nicht prämiert wurde, wendete sie sich an den Zsolnay Verlag, der eine Option auf alle Arbeiten Haushofers besass, welche mehr als 100 Seiten umfassten. Doch dem Verlag sei „Wir morden Stella“ mit nur rund 50 Seiten für eine eigene Publikation zu schmal, lautete die Antwort. So kam es, dass das Meisterwerk schliesslich 1958 im kleinen Bergland Verlag unter dem Titel Wir töten Stella veröffentlicht wurde. Rudolf Felmayer gab im Bergland Verlag unter anderem die Reihe Neue Dichtung aus Österreich heraus. 1956 erschien dort das Werl Die Vergissmeinnichtquelle, Marlen Haushofers erster Erzählungsband. Für diesen erhielt sie später den Preis des Theodor-Körner-Stiftungsfonds.

Noch vor dem Erscheinen von Wir töten Stella wurde 1957 der zweite Roman Haushofers vom Zsolnay Verlag veröffentlicht: Die Tapetentür. Die meisten Pressestimmen spendeten hierfür zwar Beifall, doch einige fanden die Tagebuchgedanken banal; das Buch insgesamt uneinheitlich. Es wird vermutet, dass hier von der Autorin authentische Tagebucheinträge eingeflochten wurden. Marlen war eine konsequente Tagebuch-Schreiberin, die das Geschriebene aber regelmässig verbrannte.

Heimliche Künstlernatur

Auch Hans Weigel resümierte später, dass die beiden Zsolnay-Romane nicht perfekt waren; ganz im Gegensatz zur Novelle Wir töten Stella, die mit Recht zu den Meisterwerken Marlen Haushofers zählt. (8) Die öffentliche Reaktion war zwar eher gering, jedoch überwiegend positiv. Jeannie Ebner bezeichnete die Novelle in einem Brief an ihre Freundin Anfang 1959 als „das reifste und geschlossenste Ding, das Du bisher geschrieben hast.“ 1963 wurde Wir töten Stella mit dem Arthur Schnitzler-Preis ausgezeichnet.

Marlen war nun Ende Dreissig und hatte nicht nur mit ihren Depressionen zu kämpfen. Abgesehen von ihrer Lungenkrankheit litt sie unter hohem Blutdruck in Zusammenhang mit einem alten Nierenleiden, an chronischem Fieber und einer Anämie. Im Januar 1958 stürzte sie in Wien in einem Schwindelanfall aus der damals noch offenen Strassenbahn und erlitt Wirbelprellungen. Ausserdem machte ihr der Umstand zu schaffen, dass andere österreichische Schriftsteller längst den Durchbruch vollzogen hatten, während sie selber kaum vom Fleck zu kommen schien. So wird Marlen Haushofer auch heute noch nur selten als Zeitgenossin der international bekannten Ingeborg Bachmann wahrgenommen. Vielleicht deshalb, weil Marlen im Gegensatz zu Ingeborg Bachmann nie Weltbürgerin wurde; sie blieb Försterstochter, Zahnarztgattin, Hausfrau. Weder ihre biedere äussere Erscheinung noch ihr umgangssprachlicher Briefstil verrieten etwas von einer Künstlernatur. Marlen hasste öffentliche Auftritte, war eine schlechte Interpretin ihrer Werke, erhob die Stimme nur leise und übte sich in Bescheidenheit. Letzteres diente möglicherweise als Schutzschild gegen zu hohe Erwartungen. Dennoch – mit dem Buch Die Wand, das ihr berühmtestes werden sollte, gelang Marlen Haushofer der Befreiungsschlag aus der Mittelmässigkeit.

Manfred Haushofer war inzwischen auch aufgrund seiner schweren Herzkrankheit immer schwieriger geworden. In Marlens Briefen an ihre Freunde hiess es oft, er kränkle, sei nervös und deprimiert. Er arbeite zuviel und liebe seinen Beruf nicht. In Steyr war Manfred als Zahnarzt gefürchtet, weil er als ungeduldig und cholerisch galt und seine Patienten gelegentlich auch anschrie. Wer über Schmerzen klagte, den hielt er für wehleidig. Er neigte zu Jähzorn und galt unter Freunden als hysterisch. Warum Marlen im Februar 1958 Manfred ein zweites Mal heiratete, ist fraglich. Die Beziehung mit Reinhard Federmann war zuvor in die Brüche gegangen. War es Liebe oder Mitleid, die Marlen für Manfred empfand?  Auf die Frage einer Freundin hin, was sie nach all den Jahren zu diesem Schritt bewogen habe, meinte sie lapidar: „Du kannst in Steyr nicht geschieden sein“. (9) 

Im selben Jahr starb die Schriftstellerin Helene Lahr, welche eine besondere Freundin Marlen Haushofers war. Zwischen der 26 Jahre älteren Helene, der Lebensgefährtin von Oskar Jan Tauschinski, und Marlen hatte sich in den Jahren während ausgiebigen, intensiven Gesprächen eine tiefe Freundschaft entwickelt. Oft hielt sich Marlen bei ihren Wienbesuchen in der Wohnung der Beiden auf. So traf sie der Tod ihrer Freundin tief, und sie zog sich aus den Literaturkreisen in Wien zurück. Auch die Beziehung zu Hans Weigel hatte eine gewisse Entfremdung erfahren. Möglicherweise deshalb, weil Marlen Haushofer zu viel Raum ihrem Hausfrauen-Dasein verlieh und den Literaturkreisen sowie dem Schreiben nicht die geforderte Aufmerksamkeit zu geben vermochte.

Quellhinweise

Daniela Strigl: „Wahrscheinlich bin ich verrückt“ Marlen Haushofer – Die Biografie:
(1) Seite 190, (2) Seite 190, (3) Seite 191, (4) Seite 191, (5) Seite 191, (6) Seite 225, (7) Seite 222, (8) Seite 234, (9) Seite 234

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