Marlen Haushofer

Die Kriegsjahre (1939 – 1945)

Beim Reichsdienst

Die harte Arbeit beim Reichsarbeitsdienst RAD erfüllte Marlen Frauendorfer mit Stolz. Sie entkam der familiären und strengen schulischen Obhut, war das erste Mal fern der Heimat und führte ein selbstbestimmtes erwachseneres Leben. Sie schrieb ausführliche Briefe an die Eltern und an die Freundin Elli, in denen sie vom Alltag im RAD erzählt. Dabei betonte sie ihre Tüchtigkeit und die Härten des Lagerlebens und versuchte, die Ängste ihrer Mutter zu zerstreuen. Zuhause traute man der behüteten und kränklichen Tochter nicht zu, dass sie die Strapazen des Arbeitsdienstes ohne körperliche Schäden überstehen würde. Der Drill des Lagerlebens verhalf Marlen zu mehr Selbständigkeit, während sich das nationalsozialistische Erziehungsprinzip der Abhärtung mit ihrem Wunsch nach Bewährung deckte. Ausserdem war sie in eine fröhliche Gemeinschaft eingebettet, so konnte die Zeit im RAD – weitgehend ungeachtet der politischen Dimension – als schöne und abenteuerliche Zeit erlebt werden. (1).

In einem Brief vom 26. Mai 1939 an ihre Schulfreundin Angela Trenkler schrieb Marlen (die Briefe wurden offenbar im RAD im Gegensatz zum Kloster nicht zensuriert): (…)Vielleicht willst Du etwas vom RAD hören, um einen Vorgeschmack der Seligkeit zu bekommen. Arbeitsplan: 4h55m Aufstehen, Frühsport, Duschen, 7h bis 2h Arbeit beim Siedler (10h 2. Frühstück, 1h Essen) 2 bis 3h Bettruhe, dann Sport, Arbeit im Haus, Schulung bis 8h, dann Essen, Werkarbeit, 10h Bettruhe. Die Arbeit ist sehr schwer, anfangs glaubte ich, ich könnte es nicht machen, aber jetzt geht es schon ganz gut. Ich konnte das Essen einfach nicht vertragen, 3 mal tägl. Kartoffel, dann immer diese Grützen, Puddings und Klösse, einfach schrecklich. Aber jetzt schmeckt mir das Essen schon sehr gut, ich kann mir eben nichts anderes mehr vorstellen.

Die Siedler sind nach österreichischen Verhältnissen gemessen gar nicht arm, so wie bessere Bauern bei uns, aber wahnsinnig dreckig. Sachen erlebt man da, z. B. Nachtgeschirr und Kaffeeschalen zusammen abgewaschen, Katzen, Hund fressen vom selben Teller, den morgen die Maid bekommt od. ein Rind. Überall ist es ja nicht so, aber meistens. Dabei sind alle Siedler sehr intelligent, haben fast alle Matura, manche Hochschule. (…) Du kannst Dir überhaupt nicht vorstellen, wie verschieden diese Menschen von uns sind. Nicht gerade unfreundlich aber so fremdartig, dass man nie warm wird. Verschlossen und wortkarg und dabei furchtbar jähzornig und heftig. Christburg eine Stadt wie Kirchdorf, etwas grösser, ist eine Stunde weit weg. Du siehst keinen Menschen auf der Strasse, die Kaffees sind immer leer, die Leute steif und spiessbürgerlich bis dorthinaus. Am auffallendsten finde ich die Geschmacklosigkeit in allem, besonders in der Kleidung, es tut in den Augen weh. Wir arbeiten auf dem Feld, im Haus, weisst Du, manchmal ist die Arbeit entschieden zu schwer für ein Mädchen, wir sind Ersatz für Knechte. Zur Erntezeit soll ja männlicher RAD kommen, ein Mann pro Siedler. Dann bleiben wir bis 6h abends beim Siedler, das wird eine Zeit werden. Ich war jetzt 14 Tage in der Lagerküche. Zu zweit mussten wir für 40 Personen und 3 Schweine kochen, abwaschen u.s.w. Das ist der schwerste Dienst den es gibt, ich hab mich tagelang nicht einmal waschen können. Ich übertreibe kein bisschen, Du kannst Dir das nicht vorstellen. (…)” (2)

Als Marlen bei einem Siedler Dienst tat und gerade niemand anderer auf dem Hof war, kam es zu einem Schlüsselereignis für die Österreicherin. Sie wurde von einem betrunkenen Mann handgreiflich bedrängt und am Gehen gehindert. Da packte sie “die Wut so furchtbar, und ich lasse meine Hände los und wir spielen “Watschenmann”. Das aufgebrachte Mädchen schlug dem Aufdringlichen sogar noch mit der Faust die Nase blutig. Dieser Vorfall schien Marlens Auffassung vom Mann als einem höchst gefährlichen Wesen zu bestätigen. (3)

Während ihrer Zeit beim RAD lernte Marlen einen jungen Deutschen aus Dortmund kennen und schrieb ihren Eltern: Jetzt habe ich einen Medizin Studenten kennengelernt, aus Dortmund, sein Vater ist aus Steiermark, ich war ganz glücklich darüber. Er war auf Erntehilfe da, acht Tage bin ich immer mit ihm zur Stadt gefahren und er hat mich immer im Kindergarten besucht, ich war so froh, wieder einmal mit einem kultivierten Menschen zu reden, und er war so furchtbar nett und anständig zu mir und hat mir das Leben erleichtert wo er nur konnte. (4)

Auch wenn Marlen in einem weiteren Brief betonte: …deshalb braucht ihr aber noch lange nicht zu denken, dass ich vielleicht verliebt bin oder so, betont Rudi, der Bruder Marlens, dass dieser Mann eigentlich ihre grosse Liebe war.

Marlen Frauendorfer diente nicht die gesamten sechs Monate beim RAD ab. Mit Beginn der Polenoffensive am 1. September wurde das RAD-Lager Christburg geräumt, und die Mädchen wurden nach Hause geschickt.

Entscheidende Veränderungen

Eigentlich wollte Marlen im Herbst 1939 ihr Germanistik- und Kunststudium beginnen. Dass sie studieren wollte und sollte, stand schon lange fest. Heinrich Frauendorfer war gerne bereit, dieses Studium zu finanzieren und wollte nicht dem nach ihrer Schulzeit geäusserten Wunsch Marlens nachkommen, die Gartenbauschule zu besuchen. Der Gedanke, seine Tochter, die eine gute Erziehung erfahren hatte, solle zeitlebens in der Erde wühlen, schien ihm absurd. (5) Marlen vermochte das Studium aber noch nicht anzutreten, denn eine bleierne Mattigkeit legte sich während ihrem Aufenthalt zu Hause über sie. Je mehr sie schlief, desto matter und teilnahmsloser wurde sie. Die Symptome einer klinischen Depression. Erst mit dem ersten Schnee löste sich ihre Lähmung, und die Lebensenergie kehrte zurück. Aber sie spürte, dass das Zuhause nicht mehr das Paradies ihrer Kindheit war, was für sie einen einschneidenden Verlust bedeutete.

Im Januar 1940 trat Marlen Frauendorfer ihr Studium in Wien an; dort wohnte sie erst bei einer kleinbürgerlichen Witwe in “einem finsteren Hofkabinett” in der Gumpendorferstrasse, anschliessend übergangsmässig bei Hans Frauendorfer, einem der vier Brüder ihres Vaters, bis sie schliesslich ein Zimmer bei einer Malerin fand. Hier in Wien verbrachte Marlen trotz dem Krieg eine anscheinend unbeschwerte Zeit, traf sich mit Freundinnen und genoss die Annehmlichkeiten einer Grossstadt.

In dieser Zeit standen Marlen Frauendorfer und jener Mann, den sie während ihrer Zeit beim RAD kennengelernt hatte, vermutlich in brieflichem Kontakt, denn er besuchte sie in Wien, wo es zwischen den Beiden richtig funkte. Gert Mörth, geboren 1916 in Essen, der aus einer begüterten Dortmunder Familie stammte, nahm die Beziehung zu Marlen sehr ernst, so begann er im Oktober 1940 in Wien zu studieren. Im Herbst 1940 war die Verlobung quasi offiziell, denn Marlen brachte ihren Gert nach Frauenstein mit und stellte ihn ihrer Familie vor. Kurz danach, im Dezember, bemerkte Marlen, dass sie schwanger war. Daraufhin folgte der Bruch – sie beendete die Beziehung zu Gert aus unbekannten Gründen. (6)

Marlens erste grosse Liebe schien zu einem Trauma geworden zu sein. Es hat auch den Anschein, dass das Erlebnis mit dem Verlobten ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht nachhaltig geprägt und ihre Skepsis in tiefes Misstrauen verwandelt hatte. Für ein streng katholisch erzogenes Mädchen vom Lande war die uneheliche Schwangerschaft zu dieser Zeit eine Katastrophe. Dennoch kam eine Abtreibung für sie nicht in Frage – trotz allen Widrigkeiten wollte sie das Kind austragen. Sie beschloss aber, ihre Eltern nicht einzuweihen, weil für diese ein aussereheliches Kind als persönliche Niederlage, ja Schande galt. (7)

Selbst wenn die Schwangerschaft körperlich und psychisch belastete, Marlen folgte ihrem Studium mit unvermindertem Eifer. Ein Glücksgefühl der werdenden Mutter wollte sich einfach nicht einstellen. Ihre Figur “Annette” aus dem späteren Roman Die Tapetentür formuliert es drastisch: “Wie kommt es, dass dieses winzige Kind mir ein so abscheuliches Gefühl von Klebrigkeit und Unsauberkeit macht? Ich möchte mich den ganzen Tag waschen.” Sie wartet ungeduldig auf die Geburt, um “endlich von dieser Last befreit zu werden”. Annette (Marlen) kann sich nicht vorstellen, eine normale Mutter zu sein, und das verursacht ihr Schuldgefühle. “Eine Frau, die ein Kind hatte, hörte auf, ein freier Mensch zu sein. Man war eine gute Mutter und nichts sonst, oder man versagte als Mutter und behielt seine Persönlichkeit (…) Niemand konnte eine Sache gleichzeitig behalten und aufgeben, so musste man es rückhaltlos tun. Es gab keinen Weg, der zur jungen Frau in der kleinen Wohnung zurückführte, die gewohnt war, zu tun und zu lassen, was ihr beliebte.” Mit dem Kindsvater war inzwischen eine Unterhaltszahlung vertraglich geregelt worden. Gert Mörth verliess Wien im Jahre 1941. Dann verlor sich seine Spur. 1944 verunglückte er bei einem Kraftfahrunfall in der Nähe von Köln tödlich. (8)

An einem Wintertag vor Weihnachten fuhr Marlen mit der Strassenbahn. Alle Sitzplätze waren von jungen Uniformierten besetzt. Dass die junge Frau schwanger war, sah man ihr noch nicht an. Ein junger, blonder, schlanker Mann bot ihr dann seinen Platz an, und sie kamen ins Gespräch. Der Mann war Manfred Haushofer, der in Wien als Soldat der Luftwaffe Medizin studierte. Marlen verliebte sich Hals über Kopf in den jungen Medizinstudenten. Je mehr die beiden sich näher kamen, desto mehr bedrückte Marlen ihr Geheimnis. In einem Brief an Manfred schilderte sie dann ihre Vorgeschichte. Als Manfreds Reaktion auf dieses Geständnis hin ausblieb, war Marlen verzweifelt. Ihre energische Freundin Dita nahm die Sache in die Hand, rief Manfred Haushofer an und eröffnete ihm während einem persönlichen Treffen, wie es um Marlen bestellt war. Manfred hatte den Brief nie erhalten und fiel ob Ditas Erläuterungen aus allen Wolken. Dennoch blieb er Marlen treu und diese konnte aufatmen. Sie hatte einen Mann gefunden, der zu ihr hielt, obwohl sie das Kind eines anderen austrug. Manfred war für Marlen ohne Zweifel kein Lückenbüsser, sondern “erste Wahl”. In ihrem Roman Die Mansarde brachte sie die glückliche Zeit des Einander-Kennenlernens zu Papier. Dort erklärt die Erzählerin über ihren künftigen Ehemann: “Er war nicht der erste Mann in meinem Leben, aber als ich ihn kennenlernte, vergass ich alles, was vor ihm gewesen war, auf der Stelle. Hubert (…) war mir ganz vertraut, als hätten wir einander von Kindheit auf gekannt.” (9)

Ende April 1941 wurde Manfred Haushofer nach Prag versetzt. Noch immer hatte Marlen nicht vor, ihre Eltern über die Schwangerschaft und die bevorstehende Geburt zu informieren. Stattdessen nahm sie die Hilfe von Trude Laux an, einer Freundin aus der Zeit beim Reichsarbeitsdienst. Trudes Mutter war bereit, Marlen in ihrem Haus in Bayern (Herrsching am Ammersee) aufzunehmen. Am 30. Juli 1941 war es dann soweit: In einem Entbindungsheim im nahen Pähl kam der kleine Christian Georg Heinrich zu Welt. Bis zu seinem vierten Lebensjahr sollte Christian bei seiner Ziehmutter hier in Bayern in der Obhut von Trudes Mutter bleiben. Kurz nach der Geburt schrieb Marlen Frauendorfer einen Brief an ihre Eltern. Darin verlautbarte sie unter anderem: “…Ich habe mich nämlich ernstlich verlobt. Bitte befürchtet deswegen nichts, es ist bestimmt zum letzten Mal. Und wahrscheinlich werdet Ihr im Herbst oder Winter diesbezügliche Sorgen überhaupt los werden. (…) Glaubt bitte nicht, dass ich übereilt handle, ich hab mir die ganze Sache schon seit Weihnachten überlegt und habe auch Manfred immer wieder davon abhalten wollen, aber er hat es sich so fest in den Kopf gesetzt, dass er sich doch die Folgen selbst zuschreiben muss.” Sie schrieb weiter von den Heiratsplänen und präsentierte Manfred Haushofer als einen “guten Mann”. Von Liebe jedoch wurde nicht gesprochen. (10)

Hochzeit

Am 11. November 1941 heirateten Marlen Frauendorfer und Manfred Haushofer auf dem Standesamt Molln. Vermählungsanzeige (11):

Manfred Haushofer und Frau Marlene Frauendorfer erlauben sich ihre Vermählung bekannt zu geben.
Im November 1941
Prag XII., Schlözerg. 26
Frauenstein, O. D.

Die kirchliche Trauung fand in der Pfarrkirche von Frauenstein statt. Nach kurzem Heiratsurlaub in Graz bei Manfreds Mutter fuhren die Frisch-Vermählten nach Prag. Marlen besuchte Vorlesungen der Prager Universität, schrieb sich dort aber nicht ein, während Manfred sich intensiv auf sein erstes Rigorosum (Promotionsprüfung an der Hochschule) vorbereitete. Bereits im Januar 1942 wurde Manfred Haushofer nach Krems in Niederösterreich abkommandiert. Hier zog er sich durch eine verschleppte Angina einen nachhaltigen Herzmuskel-Schaden zu, der Manfreds Leben für immer beeinträchtigen sollte. Im April wurden der Medizinstudent und seine Frau nach Wien versetzt, wo Marlen schliesslich wieder ihr Studium aufnahm. Zwischendurch versuchte sie immer wieder, sich um ihren Sohn Christian zu kümmern, der noch immer in Bayern lebte. Die Betreuung des Sohnes und das Studium erschienen ihr jedoch nach wie vor unvereinbar. So blieb es bei jenen kurzen Besuchen der Mutter. (12)

Im Sommer 1942 teilte Marlen ihren Eltern in einem Brief mit, dass sie ein zweites Mal schwanger war. “Liebe Mama, bitte sei nicht traurig, wenn ich Dir jetzt schreibe, warum ich so grantig war. Ich bekomme nämlich Anfang April ein Kind, wie mir der Arzt jetzt sagte und da keine Anzeichen dafür da waren, ausser einer gewissen Übelkeit, wollte ich Dich nicht beunruhigen. Zuerst war ich auch recht traurig, aber wer weiss, wozu es so gut ist, jetzt bin ich gar nicht mehr grantig und Manfred ist auch sehr lieb zu mir und vielleicht wird doch auf diese Weise alles recht. Ich fühle mich diesmal viel wohler als vor 2 Jahren und es geht mir auch viel besser. Jetzt werden wir uns um eine Wohnung bemühen, das ist momentan die ärgste Sorge. Bitte lb. Mama reg Dich nicht auf darüber, ich kann ja auch nichts dafür und vielleicht wird es recht ein liebes herziges Kind.” Dass auch das zweite Kind für Marlen ungeplant kam, kann man diesen Zeilen unschwer entnehmen. Zumal sich die Eltern sicherlich gewünscht hätten, dass ihre Tochter erst das Studium abgeschlossen und sich eine finanzielle Basis erworben hätte. (13)

Die ersten Ehejahre

Das Ehepaar, das bis anhin zur Untermiete wohnte, fand in Wien (18. Bezirk) eine Wohnung. Marlen schloss im Winter 1942/43 ihr 7. Semester ab. Für die Niederkunft ihres zweiten Kindes fuhr sie nach Effertsbach zu ihren Eltern. Manfred, der für eine Pflichtfamulatur abkommandiert war, konnte sie nicht begleiten. In Wels, rund 40 Kilometer von Effertsbach entfernt, wurde Marlen am 27. März 1943 von einem Buben entbunden, der den Namen seines Vaters erhält. In der gleichen Zeit entging Manfred Haushofer knapp dem Tod; eine Herzmuskelentzündung fesselte ihn für Wochen ans Krankenbett. Nach Wien zurückgekehrt, war der Genesende so schwach, dass ihn sein Freund die Treppen zu seiner Wohnung hinauf tragen musste. Damit war der Krieg für Manfred gelaufen. Im September 1943 wurde er für dienstunfähig erklärt. Zu dieser Zeit lebte das Paar mehrheitlich in Effertsbach und machte nach aussen hin einen sehr glücklichen Eindruck und bildeten mit ihrem Sohn ein familiäres Idyll. (14)

Im Winter 1943/44 zog das Ehepaar in eine kleine Wohnung nach Graz. Der kleine Manfred blieb bei den Grosseltern in Effertsbach zurück, vermutlich weil auf dem Lande die Versorgungslage besser war und die alliierten Luftangriffe gegen deutsche Städte immer häufiger wurden. Die Unterkunft der Haushofers lag in der Grazer Mandellstrasse direkt gegenüber der Wohnung von Manfreds Mutter. In Marlens Augen entsprach Therese Haushofer dem typischen Bild der bösen Schwiegermutter. In Die Mansarde verarbeitete Marlen das schwierige Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter. So äussert sich im Roman die Erzählerin über Huberts Mutter: “die Hofrätin hätte mich ruhig wie einen Menschen behandeln können. Sie tat aber, als gäbe es mich gar nicht. Heute wäre mir das einerlei, damals aber hätte mir ein bisschen Entgegenkommen gutgetan.” (15) An der Grazer Uni besuchte Marlen Haushofer Vorlesungen über die Romantik und die deutsche Prosa des 19. Jahrhunderts ebenso wie “deutsche Operndichtung” und die Methoden der Literaturwissenschaft. Sie begann mit ihrer Dissertation, deren Thema und Betreuung heute nicht mehr feststellbar sind. (15)

Kurz vor Kriegsende im Jahre 1945 wurde Manfred Haushofer zum Doktor der Medizin promoviert. Als Graz unter dem Druck der anrückenden sowjetischen Truppen von den Deutschen zur Festungsstadt erklärt wurde, beschloss das Paar, mit dem Fahrrad nach Frauenstein zu flüchten. Nach einer strapaziösen, abenteuerlichen Flucht über gebirgige Strassen erreichten die Haushofers erschöpft Frauenstein und waren in Sicherheit. An eine Rückkehr nach Graz war nicht so schnell zu denken, denn die Stadt lag nach Kapitulation der Deutschen unter sowjetischer Verwaltung.

Für Marlen bedeuteten die Kriegsjahre trotz Kriegsnot und Gefährdung sehr intensive Lebensjahre, und sie blickte im Nachhinein mit einem etwas verklärten Blick auf jene Zeit zurück. Sie und ihre junge Familie hatten den Krieg besser überstanden als viele andere. Marlens Blickwinkel beschränkte sich auf ihre Privatsphäre, auch in ihren späteren Romanen, und liess den Kriegswirren und dem Nazi-Wahn kaum Platz. Vielleicht eine Art Selbstschutz, diese Zeit zu überstehen; oder aber jene Art des Denkens, die damals den Frauen in ihrer Rolle auferlegt worden war. Auch in Marlens Geschichten begnügen sich die Kriegsfrauen mit jener häuslichen Sphäre, die ihnen, sofern sie nicht für die Produktion von Kriegsgeräten benötigt werden, vom Regime zugedacht ist. Und obwohl diese Frauen die Worthülsen der Propaganda erkennen, ziehen sie nicht einmal in ihrem Denken Konsequenzen, begreifen nicht, dass sie, die Frauen im Hinterland, es sind, die den Krieg erst möglich machen. Der Rückzug auf das heikle private Glück hat vielleicht etwas Trotziges, aber er bedeutet in erster Linie ein Resignieren und Sich-Bescheiden. (16)

Manfred Haushofer

Manfred Haushofer wurde 1917 in Judendorf bei Graz geboren und wuchs ab seinem vierten Lebensjahr vaterlos auf. Er war kein Wunschkind, sondern die Frucht einer Liaison zwischen seinem begüterten Vater Anton, der bei Manfreds Geburt bereits im Pensionsalter war und der viel jüngeren mittellosen Therese Schabelreiter. Nach dem Tode ihres Mannes konnte sich Therese und ihren Sohn Manfred nur sehr mühsam über Wasser halten, da der Vater, der schon Kinder aus einer früheren Ehe hatte, Therese und ihren Sonn auf den Pflichtteil gesetzt hatte. Trotzdem war sie mit den Einkünften aus ihrer Witwenpension und einer kleinen Gemischtwarenhandlung in der Lage, dem Jungen eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Nach der Matura absolvierte Manfred Haushofer die Lehrerbildungsanstalt in Graz, übte jedoch den Beruf des Volksschullehrers nie aus. Nach seinem Militärdienst wurde er in die deutsche Wehrmacht übernommen. Vom April 1940 an diente er in der 2. Schülerkompanie der “Sanitäts-Ersatz-Abteilung 17” der Luftwaffe in Wien und wurde bald darauf zum “nebendienstlichen Medizinstudium an der Universität Wien” zugelassen. (17)

Quellhinweise

Katalog zur Ausstellung “Marlen Haushofer 1920 – 1970”:
(2) Seite 16, (11), Seite 19
Daniela Strigl: “Wahrscheinlich bin ich verrückt” Marlen Haushofer – Die Biografie:
(1) Seite 110 ff, (3) Seite 117, (4) Seite 118, (5) Seite 119, (6) Seite 127 f., (7) Seite 129 ff, (8) Seite 130, (9) Seite 136, (10) Seite 139 f., (12) Seite 143 ff, (13) Seite 145 f., (14) Seite 146 f., (15) Seite 148, (16) Seite 151, (17) Seite 134 ff

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