Zum 100. Geburtstag Marlen Haushofers möchte ich postum ein paar Menschen über Marlen Haushofer erzählen lassen. Als kleines Dankeschön für all’ die unzähligen Stunden grössten Lesevergnügens, die uns die oberösterreichische Schriftstellerin geschenkt hat.
Worte von Oskar Jan Tauschinski
Oskar Jan Tauschinski (Nachlassverwalter und Freund) schreibt 1966 in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Haushofer-Erzählbandes “Lebenslänglich” unter anderem…
Leise wie ihre Stimme, behutsam wie ihre Bewegungen, reserviert wie ihr Gehaben, nachdenklich forschend wie ihr Blick – so geht Marlen Haushofer an die Aufgabe ihres Lebens heran: an die Schriftstellerei.
Schreiben ist für sie nicht ein Freimachen gestauten Gestaltungsdranges, nicht ein Nachgeben dem schöpferischen Impuls, sondern der zähe Kampf für den Sieg der Vernunft, für das kreatürliche Recht auf Glück oder zumindest auf Erträglichkeit des Daseins. Es ist ein Kampf gegen die Übermacht des Chaos, der Unordnung, der Dämonie, die jeden Menschen von aussen und von innen her bedrohen, ein Defensivkrieg in Verteidigung des kleinen Stückchens trockenen Bodens in unserer Seele, auf dem die Gesittung spärlich gedeiht, gegen die Überflutung durch das ewig anstürmende Meer des Ungestalteten, Anarchischen, Infernalischen. Marlen Haushofer sehnt sich nach einer Welt, die mütterlich weise geworden ist, die alles Geborene pflegt und fördert, die sich schützend vor die Brut stellt und nicht sich selbst und alles, was sie hervorbringt, ununterbrochen ad absurdum führt. (…)
(…) Wenn in ihren Schriften die von ihr aus keineswegs religiös gemeint sind, dennoch die Bemühung um Ethos und Moral, das Lob des Guten und die Ablehnung des Bösen offenbar werden, so geschieht dies nicht, weil Marlen Haushofer sich in Gottes Hut geborgen fühlt, sondern weil sie von der Unzulänglichkeit seiner Schöpfung (…) felsenfest überzeugt ist und nun von sich aus ein Scherflein beitragen möchte, um an dem missglückten Versuch zu retten, was zu retten ist. (…)
(…) Ihre Werke sind Bestandsaufnahmen des Kleinen und Kleinsten, aus dem das Leben besteht. Der Handlungsablauf spielt in ihnen eine untergeordnete Rolle. Sie kommt mit einem Minimum an Story und ganz ohne Überraschungsmomente, Sensationen und Spannungseffekte aus. Marlen Haushofer erwartet vom Leser weder Neugier noch Abenteuerlust – beide könnte sie nicht befriedigen. Aber sie zählt auf seine innere Anteilnahme, auf sein Mit- und Nachempfinden, und einen so gestimmten Leser wird sie nie enttäuschen. Vor allem hilft sie ihm, sich zu erinnern, indem sie die eigene Kindheit, Jugend und Entwicklungszeit heraufbeschwört und all das vor ihm ausbreitet, was er aus eigener Kindheit und Jugend vergessen haben mag. (…)
(…) Im Roman “Eine Handvoll Leben” heisst es: “Die Kindheit ist nicht sanft und idyllisch, sondern Schauplatz wilder, erbitterter Kämpfe unter der Maske rosiger Wangen, runder Augen und unschuldiger Lippen. So mörderisch waren diese Kämpfe, dass die meisten Menschen sie entsetzt zu vergessen suchten und sich einbildeten, sie seien nach Jahren oberflächlicher Spiele und leichtgestillter Tränen erst zun wahren Leben erwacht.”(…)
(…) Marlen Haushofer gehört zu jenem Schlag von Schriftstellern, deren wichtigste Phase die Kindheit war und deren Reife darin besteht, das in den ersten vierzehn Lebensjahren Erlebte wach und lebendig zu erhalten, weil diese Erfahrungen so stark, so erregend waren, dass alles Erwachsensein für sie nur melancholisches Weitermachen, nur das Rotieren eines in Schwung versetzten Kreisels, nur die Geschäftigkeit eines noch nicht bestattungsreifen Leichnams zu sein scheint. (…)
Worte von Hans Weigel
Aus “Hans Weigel, In memoriam”, Graz/Wien/Köln 1979:
(…) Marlen Haushofer schien weltfremd, doch auch dieser erste Eindruck täuschte. Sie schrieb Geschichten und vertrieb sie selbst mit Erfolg. Sie suchte und fand Kontakt mit Verlagen.(…)
(…) Marlen Haushofer hatte einen Haushalt und eine zahnärztliche Ordination zu betreuen. Man hatte dort wenig Verständnis für ihre literarische Arbeit. Als ich sie einmal fragte, ob sie sich über den Staatspreis freue, meinte sie: “No ja, jetzt lassen’s mich zuhaus eher arbeiten”. Ihre Arbeiten muss in äusserster Konzentration vor sich gegangen sein, denn sie machte im maschingeschriebenen ersten Script fast keine Interpunktionszeichen und Absätze.(…)
(…) Marlen Haushofer war selbstbewusst und doch demütig. Und wenn ich ihr zu erklären versuchte, was sie geschrieben hatte, hielt sie das für Komplimente, für Pädagogik, für Symptome meiner freundschaftlichen Sympathie. Dabei war sie – wer hätte ihr’s angesehen?! – in litteratricis durchaus kritisch. Sie hatte viel gelesen, hatte ein oft unbarmherziges Urteil. (…)
Foto: Hans Weigel
Quelle: Wolfgang H. Wögerer, Vienna, Austria [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Worte von Jeannie Ebner
Aus dem Artikel vom 5. April 1980 (Salzburger Nachrichten) von Jeannie Ebner (Freundin) zum 10. Todestag Marlen Haushofers:
(…) Marlen Haushofer gehört nicht zu jenen Selbstgerechten, die den Schreibtisch des Dichters mit dem Richterstuhl über alle Welt verwechseln. Ihr Blick ist nicht strafend. Ungern reisst sie Masken von Gesichtern, die offensichtlich hilflos sind und der Masken bedürfen, um mit sich selbst auskommen zu können. Marlen Haushofers sanfter und zugleich wissender Blick ist von etwas gemildert, das ich als “Menschenliebe wider besseres Wissen” bezeichnen möchte. Mit einem resignierenden Lächeln scheint sie uns sagen zu wollen: Lass gut sein, mach dir nicht zuviel daraus. Aber bleiben wir doch bei der Wahrheit. Wir könnten uns ja noch zum Besseren ändern, nicht wahr?
(…) Ich aber beneidete sie um die Fähigkeit, ohne jede poetische oder stilistische Überhöhung aus konkreten Erlebnissen durch chronologisches Erzählen Dichtung zu machen, und das in einer sehr einfachen Sprache. (…)
Worte von Marlen Haushofer
(…) Meine Bücher sind alle verstossene Kinder. Mich interessiert nur der Vorgang des Schreibens, Die einzige Ausnahme ist der Roman “Himmel der nirgendwo endet”, eine Autobiographie meiner Kindheit. Auch dieses Buch lese ich nicht wieder, es genügt mir, in ihm ein Stück Vergangenheit eingefangen zu haben und manchmal daran zu denken.(…)
(Aus dem Gespräch Marlen Haushofers mit Dora Dunkl (Freundin), abgedruckt am 6. November 1969 in den Oberösterreichischen Nachrichten).
(…) Ich schreibe nie über etwas anderes als über eigene Erfahrungen. Alle meine Personen sind Teile von mir, sozusagen abgespaltene Persönlichkeiten, die ich recht gut kenne. Kommt einmal eine mir wesensfremde Figur vor, versuche ich nie in sie einzudringen, sondern begnüge mich mit einer Beschreibung ihrer Erscheinung und ihrer Wirkung auf die Umwelt. – Ich bin der Ansicht, dass im weiteren Sinne alles, was ein Schriftsteller schreibt, autobiographisch ist. (…)
(…) Ich gehe nie von Fabeln aus, weil ich unfähig bin auch nur die einfachste Fabel zu erfinden. Meist gehe ich von Landschaften, Häusern, Steinen, Pflanzen und Tieren aus, häufig auch von Traumerlebnissen. Ich glaube, es ist eine meiner grössten Schwächen, dass mich Menschen zuwenig interessieren. Ich brauche immer ziemlich lange Zeit, bis ich für meine Helden ein bisschen Sympathie aufbringe. Manchmal werden sie mir unterwegs langweilig und ich gebe sie auf. Aber noch nie ist mir ein Baum, ein Stein oder eine Landschaft langweilig geworden. (…)
(Aus dem Gespräch Marlen Haushofers mit Elisabeth Pablé, Kulturjournalistin, ORF, Reihe “Die literarische Werkstatt”).
Foto: Marlen Haushofer 1962 (Copyright Sybille Haushofer Steyr/Wien)
Wer hätte Marlen Haushofer besser beschreiben können als sie sich selbst? Anlässlich des 100. Geburtstages Marlen Haushofers, schreibe ich hier ein paar Passagen aus dem Text “Für eine vergessliche Zwillingsschwester” nieder, in welchem sich Marlen Haushofer mit einem Augenzwinkern selbst reflektiert. Diesen Text hatte die Schriftstellerin für eine in den 60er Jahren vom damaligen Leiter der Literaturabteilung des Österreichischen Rundfunks, Professor Ernst Schönwiese, initiierte Feulletonreihe verfasst, innerhalb der verschiedene Autoren gebeten worden waren, ihre eigene Grabrede zu halten. Die Originalversion von “Für eine vergessliche Zwillingsschwester” ist abgedruckt in: Marlen Haushofer, Begegnung mit dem Fremden, Düsseldorf 1985.
Marlen Haushofer – Für eine vergessliche Zwillingsschwester
Nachruf zu Lebzeiten*
Man hat mich gebeten, einen kleinen Nachruf für Marlen Haushofer zu schreiben. Den meisten ihrer Leser dürfte es unbekannt sein, daß sie überhaupt eine Schwester hatte.
(…) meine Schwester litt nämlich an falschen Erinnerungen, ja sogar an Halluzinationen. So sah sie beispielsweise sehr oft auf ihren Spaziergängen tote Katzen, Hunde und Vögel auf den Wiesen liegen, was sie in schreckliche Aufregung versetzte, obgleich sich jedesmal herausstellte, daß es sich nur um Maulwurfshügel oder Steine handelte. Natürlich mochte bald kein Mensch mehr mit ihr spazierengehen, und sie entwickelte sich zu einem Stubenhocker und führte ein ungesundes Leben. Dabei hätten sich diese Vorfälle vermeiden lassen, wenn sie sich dazu entschlossen hätte, eine Brille aufzusetzen.
Es lag aber wohl nicht nur an ihrer leichten Kurzsichtigkeit, denn sie behauptet in einem ihrer Romane, schon als winziges Kind Dinge gesehen zu haben, die es unmöglich gegeben haben konnte. In ihrem Roman “Himmel, der nirgendwo endet” erzählt sie von einem geisterhaften Schimmel, den sie durch ein bestimmtes Fenster häufig sehen konnte. Es kann sich nur um einen Irrtum Marlen Haushofers handeln, oder um ein Sich-wichtig-machen-Wollen, wozu sie manchmal neigte, ich kann bezeugen, diesen Schimmel hat es niemals gegeben. (…)
Wenn diese Einblicke nicht immer ganz erfreulich sind, liegt es sicher nicht an mir. So finde ich es zum Beispiel wichtig, zu erwähnen, daß sie ein sehr verlogenes Kind war. In reiferen Jahren hat sie diese üble Gewohnheit aufgegeben, aber nicht aus ethischen Gründen, nein, nur, weil sie ein miserables Gedächtnis hatte und sich ihre eigenen Lügen nie merken konnte.
Sofort verfiel sie in eine übertriebene Wahrheitsliebe und machte sich eine Menge Feinde. Sie neigte leider überhaupt zur Hemmungslosigkeit, so pflegte sie abwechselnd Ketten zu rauchen oder monatelang gar nicht, eine Gewohnheit, die ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit abträglich war, ich möchte sagen, vor allem letzterer.(…)
Meine verblichene Schwester war, darüber besteht kein Zweifel im Familienkreis, das starrsinnigste Geschöpf, das es geben kann. Weniger zartfühlende Leute als ich haben sie auch immer wieder als Muli oder Maulesel bezeichnet. (…)
Vielleicht wird es ihre Leser interessieren, daß sie immer nur die guten Kritiken aufbewahrte, die schlechten meist gar nicht zu Ende las und sie sofort verbrannte. (…) Zwei negative Kritiken hat sie aber aufbewahrt, um sich an ihnen zu erfreuen. Die erste betraf ihren ersten Roman, und es hieß darin, er wäre besser ungeschrieben geblieben, die zweite Kritik, einige Jahre später vom selben Rezensenten geschrieben, bedauerte herzlich, daß der zweite Roman in keiner Weise an den ersten heranreiche. Das fand Marlen Haushofer sehr lustig, wie sie ja überhaupt in diesen Dingen merkwürdig anspruchslos, fast primitiv sein konnte. So gab es kaum einen Witz, über den meine verblichene Schwester nicht gelacht hätte, eine Eigenschaft, der sie eine gewisse Beliebtheit auf Gesellschaften verdankte. Sie sah mit großem Entzücken alte Stummfilmgrotesken und fand es immer wieder komisch, wenn jemand eine Torte ins Gesicht geklatscht bekam. Und was ich jetzt sage, sollte man eigentlich nur hinter der vorgehaltenen Hand flüstern: Marlen Haushofer las mit großem Genuß utopische Schundhefte. (…)
Vielleicht war an ihrem schriftstellerischen Talent wirklich etwas dran, wer könnte das mit Sicherheit sagen, aber wenn man bedenkt, wie wenig sie auf anderen Gebieten wußte und konnte, fragt man sich doch, ob es sich unter solchen Umständen lohnt, Bücher schreiben zu können.
Es muß einmal gesagt werden, Marlen Haushofer hätte es weiter bringen können. Ihr Unglück war ein angeborener Widerwillen gegen mühsame oder langwierige Arbeiten, vielleicht gegen Arbeiten überhaupt. Deshalb ist es, nach meiner Meinung, einer der wenigen bewundernswerten Züge dieser Persönlichkeit, daß sie überhaupt jemals ein Buch zu Ende geschrieben hat. (…) Denn natürlich war sie ehrgeizig und eitel wie jeder Schriftsteller. (…)
Wenn ich soeben behauptet habe, Marlen Haushofer hätte überhaupt jede Arbeit verabscheut, muß ich mich berichtigen, ich möchte um keinen Preis von der Wahrheit abweichen. Sie war eine leidenschaftliche und hochbegabte Möbelrückerin, und nichts machte sie stolzer, als ganz allein einen riesigen Kasten von einem Zimmer ins andere zu befördern. (…) Diese Möbelpackerseele schlägt manchmal in ihren Büchern durch und hat gelegentlich Leser und besonders Kritiker, die ja bekanntlich zartbesaitet sind, unangenehm berührt.
Es wird daher nicht verwundern, wenn ich sage, daß die Verblichene in ihrer Kindheit und frühen Jugend ein ausgesprochener Raufbold war, damit verrate ich kein Geheimnis, es geht eindeutig aus ihren Büchern hervor. (…)
Sie litt außerordentlich unter Lärm und trug immer in einer kleinen Dose Oropax bei sich. Hier fällt mir eine kleine Episode ein, die ein etwas freundlicheres Licht auf Marlen Haushofer wirft. Sie schenkte ihrem Kollegen Oskar Jan Tauschinski, der in einer Wohnung lebte, in der man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte vor Straßenlärm, also, sie schenkte ihm eine Schachtel Oropax, und von dieser Stunde an konnte der geplagte Mann wieder schlafen und schreiben und fing an, sich zu erholen. Zum Dank für diese Wohltat wurde er ihr Biograph. (…)
Ich nehme an, diese freundliche kleine Geschichte hat meine Zuhörer wieder etwas aufgemuntert, und sie werden daher kräftig genug sein, um zu ertragen, daß ich ihnen den Star steche in bezug auf die Naturliebe meiner Zwillingsschwester. Es tut mir leid, wenn ich das Bild einer Einsiedlerin zerstören muß, die das einfache Leben liebte und menschenscheu war. An diesem Märchen stimmt, daß sie alle Pflanzen, vielleicht mit Ausnahme der Brennesseln und Kakteen, liebte, schon darum, weil Pflanzen nicht Lärm schlagen können und immer hübsch still sind. Es stimmt auch, daß sie Tiere liebte. (…)
Und wenn wir schon dabei sind, Marlen Haushofer hatte große Angst vor Hunden, weil sie öfters von einer gewissen Hunderasse, braunen langhaarigen Hunden mit Ringelschwänzen, in die Kniekehlen gebissen wurde, zwar leicht, es floß kein Blut, aber sie erschrak jedesmal fürchterlich über diese heimtückischen Attentate. (…) Wirklich gern war sie nur mit Katzen zusammen, und alle Katzen fingen sofort an, sie schamlos zu tyrannisieren, ihr allerhand Kunststücke beizubringen. (…)
In einem Blockhaus im Wald hätte meine Schwester nie leben mögen, sie legte großen Wert auf heißes Wasser, außerdem brauchte sie dringend in der Nähe ein Kaffeehaus mit möglichst vielen Zeitungen und eine Bibliothek. Sie hätte wirklich unmöglich allein hausen können, weil sie sich seit ihrer Kindheit nachts vor Gespenstern fürchtete und weil sie bestimmt schon in der dritten Nacht den Verstand verloren hätte vor Schreck über unerklärliche Geräusche im Kamin. (…)
Marlen Haushofer, meine Zwillingsschwester, hat sich zu einem langen Schlaf zurückgezogen und wir wollen ihn diesem schlafsüchtigen Wesen von Herzen gönnen. Da sie nichts von ihrem Glück weiß, wird sie es ja kaum genießen können.